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Eine gehörnte Fragestunde

„Neni, warum sägt man den Kühen die Hörner ab?“ fragt der Enkel. Neni antwortet: „Man sägt sie nicht ab, man entfernt sie am Kalb, bevor sie richtig wachsen. So wird verhindert, dass sich die Tiere im Freilaufstall gegenseitig mit Hornstössen verletzen.“ – „Tut das den Kälbern nicht weh?“ – „Wahrscheinlich schon. Aber der Schmerz vergeht.“ – „Gestern habe ich auf der Weide eine Kuh mit Hörnern gesehen. Sie sah viel schöner aus als die anderen.“ – „Das glaube ich gern. In den Reklamen und Inseraten gibt es nur gehörnte Kühe, im Stall und auf der Weide jedoch sehr wenige. Man sagt, dass den Tieren ohne Hörner auch etwas an der Seele fehlt.“ – „Warum darf man ihnen denn die Hörner nehmen? Den Hunden darf man die Schwänze und Ohren auch nicht abschneiden.“ – „Stimmt, man hatte früher gewissen Hunderassen Schwanz und Ohren gestutzt.“ – „Sahen die gestutzten Hunde auch so doof aus wie die enthornten Kühe?“ - (Neni lacht). „Die Hundezüchter meinten, ihre Rassehunde würden dadurch schöner. Aber die Tierschützer wehrten sich dagegen, bis es verboten wurde.“ – „Wehren sich die Tierschützer nicht gegen das Enthornen der Kühe?“ – „Doch, doch. Aber bisher mit wenig Erfolg. Weisst du, Hunde sind sozusagen Luxustiere, ausgenommen die Arbeitshunde. Da lässt sich leicht etwas durchsetzen. Aber für die Bauern sind die Kühe kein Luxus, sie leben davon. Wir essen Rindfleisch, trinken Kuhmilch und kaufen Schuhe aus Rindsleder. Dagegen essen wir keine Hunde.“ – „Aber die Chinesen tun es!“ – „Ja das stimmt. Zum Glück leben wir nicht in China. Oder möchtest du eine Hundesuppe probieren?“ – „Pfui, nein! Da würde mir schlecht.“ - (Der Enkel überlegt.) „Neni, vor ein paar Wochen haben Wölfe zwei Kühe angegriffen. Hätten sich die Kühe nicht besser wehren können, wenn sie Hörner gehabt hätten?“ – „Ich bin nicht sicher. Die Wölfe greifen oft im Rudel und von hinten an. Doch Hörner könnten sie schon abschrecken, wenn sich die Kühe so wehrhaft zeigen wie die schwarzen Eringer im Wallis. Hornkühe sind selbstsicherer. Ein Einheimischer, der oft auf eine Alp steigt, hat beobachtet, dass bei ruhenden Kuhgruppen die Hornkühe immer weiter oben auf der Weide liegen und die enthornten weiter unten, wie wenn sie sich unterordnen würden.“ – „Aber früher hatten doch alle Kühe bei uns Hörner.“ – „Ja, und die Tiere waren nicht so gross und schwer wie heute, aber robuster. Viele Rinder mussten arbeiten, zum Beispiel einen Schlitten ziehen oder Wege in den Schnee stampfen. Nachher kehrten sie gern an ihren engen Platz im Stall zurück. Sie fühlten sich dort geborgen. Heute stehen die Rinder herum, wenn sie nicht fressen oder liegen.“ – „Warum gibt es denn so viele Freilaufställe?“ – „Die Tierschützer behaupten, sie seien tiergerecht. Aber da steckt etwas anderes dahinter. Freilaufställe mit Mutterkühen geben weniger Arbeit. Früher setzte der Bauer das neugeborene Kalb in einen Verschlag in Sichtweite der Mutter, tränkte es mit Muttermilch und redete zu beiden. Das klappte gut, brauchte aber Zeit. Heute trinkt das Kalb selber vom Euter. Das Zusammensein von Kuh und Kalb ist schön, doch wenn das Kalb verkauft oder zum Metzger geführt wird, brüllt die Kuh zwei Tage lang vor Trennungsschmerz. Das ist weniger schön. Übrigens lagen vor kurzem drei Personen aus der Alpwirtschaft verletzt im gleichen Spital.“ – „Wurden sie von Wölfen angegriffen?“ – „Nein, von nervösen Mutterkühen.“ (Das Gespräch geht weiter …)
 

30.08.2022 copyright“ © Heinz Weidkuhn, Versam